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Anti-Aging und das Bildnis auf dem Dachboden

Dorian Gray Syndrom oder legitime Wissenschaft?

Dr. Gwen Bingle
|
12.20.2020

Das Streben nach ewiger Jugend

Mythen und Erzählungen, die um Altern und ewige Jugend kreisen, prägen die Literaturen und Religionen vieler Kulturen. Schließlich geht es hier um ein zentrales existentielles Thema und zwar wortwörtlich um Leben und Tod. Die meisten Geschichten inszenieren ein krampfhaftes Bestreben nach Unsterblichkeit, Jugend und Schönheit – eine Art Gralssuche nach esoterischem Wissen oder nach Zaubermitteln wie Pflanzen, Elixiere und Jungbrunnen, um den Verlauf der Jahre zu bremsen, gar zurückzusetzen. Oft gehen aber dafür waghalsige Heldinnen und Helden zwielichtige Abmachungen ein und verlieren dabei nicht nur das Ziel, die Ehre oder den Verstand, sondern sogar ihre Seele. Denn der menschliche Wunsch nach Unsterblichkeit gleicht einer Art Blasphemie: unsterblich dürfen in den meisten Kosmologien nur Gott oder Götter sein.

Das Bildnis des Dorian Gray

Selbst in der Moderne lauert die vermeintlich moralische Verwerflichkeit einer solchen Bestrebung nie weit unter der Oberfläche. Wenige Geschichten sind diesbezüglich so eindrucksvoll bedrohlich wie diejenige von Dorian Gray und seinem Bildnis. Der einzige Roman des berühmten irischen Schriftstellers Oscar Wilde, der im späten 19. Jahrhunderts veröffentlicht wurde, schildert den langsamen Verfall seines Helden, nachdem er den innigen Wunsch verspürt hat, dass sein Porträt altern soll – anstatt er selbst. Angespornt durch Narzissmus, die Faszination ästhetischer Sinnlichkeit und eine gewisse „fin de siècle“ Dekadenz, die sein Mentor – der Dandy Lord Wotton – ihn skrupellos einflüstert, merkt Dorian Gray, dass das Porträt tatsächlich nicht nur alle Spuren seines Alterns einfängt, sondern auch diejenige seiner moralischen Ausartung. Fasziniert und zugleich erschrocken beschließt Dorian, das Bildnis auf dem Dachboden zu verstecken. Als sein Leben dann langsam aber stetig weiter entartet, wird das Porträt immer furchterregender, während er selbst seine makellose jugendliche Schönheit beibehält. Die Erlösung von seinem Lasterleben erfährt der zunehmend reumütige und verzweifelte Dorian erst als er das Portrait in Rage ersticht und sich dabei selbst tötet. Im Speicher entdecken seine Diener schließlich einen unerkennbar entstellten Greis neben dem ursprünglich perfekten Bildnis des schönen jungen Mannes.

(Post-) Modernes Anti-Aging?

Aber wie ist es denn im frühen 21. Jahrhunderts? Verkauft man noch seine Seele, wenn man sich nach effektivem Anti-Aging sehnt oder ihm sogar nachgeht? Oder hat es in einer weitgehend säkularisierten und wissenschaftlich geprägten Welt seinen berüchtigten Beiklang endlich verloren?

Spannenderweise, obwohl der Wunsch nach Unsterblichkeit bei guter Gesundheit und zeitloser Schönheit vielleicht so alt wie die Geschichte der Menschheit ist, ist wissenschaftlich gestütztes Anti-Aging ein noch relativ junges und umstrittenes Unterfangen. Zwar entstand das Feld der Gerontologie Mitte des 20. Jahrhunderts, parallel zur zunehmenden Befürwortung einer frühzeitigen medizinischen Prävention – insbesondere in der inneren Medizin. Auch verbreiteten sich zeitgleich Begriffe wie Fitness oder Wellness im nordamerikanischen Kontext als präventive Ansätze im Public und Corporate Health. Aber erst ab den 1990er kann man wirklich von einer etablierter Anti-Aging Medizin sprechen.

Die Grauzone des Anti-Agings

Davor verortete sich Anti-Aging eher im Bereich der traditionellen empirischen Pflanzenheilkunde bzw. allgemeiner Volksmedizin – mit Empfehlungen basierend auf persönliche oder überlieferte Erfahrungen, wie sie z.B. in den Werken der mittelalterlichen Benediktinerin Hildegard von Bingen zu finden sind. Nie konnte diese populäre Strömung abergläubische oder magische Rituale, Quacksalber Wunderprodukte sowie, ab den 19. Jahrhundert, Visionen aus der Fantasy oder Science-Fiction Gattungen ganz wegschütteln. So mussten Rezepte gegen das Altern und Verjüngungskuren in einer Art Grauzone beharren – eifrig aber diskret kolportiert, zwischen gesellschaftlicher Faszination, wirtschaftlichem Interesse und moralischer Tabuisierung.

Selbst die vermeintliche Rationalität der neuen, wissenschaftlich basierten Medizin und Pharmazie war vor spektakulären Irrungen nicht ganz gefeit. Populäre Zeitschriften des 19. und 20. Jahrhunderts waren mit Werbung für wissenschaftlich entwickelte Anti-Aging Produkte schon vollgestopft. Etwa wie für Edina, eine radioaktive Gesichtsmaske, deren Werbung Folgendes versprach: “*natürliche, unschädliche Hautverjüngung. *für jede Haut, jedes Alter geeignet. *auffallender Erfolg schon nach dem ersten Gebrauch. *Von Autoritäten der Wissenschaft erprobt und‚ ganz hervorragend gut‘ beurteilt.” Wie lange Probandinnen nach Anwendung dieses verblüffenden Produktes ohne Karzinom überlebten, wurde leider nicht überliefert…

Körper, Anti-Aging und Identität

Heutzutage mögen die problematischen Auswüchse des Anti-Agings nicht ganz ausgestorben sein, siehe z.B. die weiterhin schwindelerregende und oft dubiöse Vielfalt des kosmetischen Anti-Aging Angebots. Dennoch ereignen sich die zunehmende Medialisierung des Körpers und Kommodifizierung der Gesundheit nicht in einem sinnentleerten Vakuum. Vielmehr sind sie das Produkt eines Umbruchzeitalters: wenn alle traditionellen Gewissheiten – seien sie metaphysischer, ökologischer oder politischer Natur – ins Wanken geraten, wird dem Körper und seinem Erhalt eine völlig neue Funktion zugeschrieben. Auf einmal wird er nicht nur zum konkreten Refugium, sondern zum Identitätsträger und unabdingbaren Erlebnisvehikel. Wenn die Außenwelt anscheinend nicht mehr rational zu deuten ist, investiere ich halt in meinen Körper: ich fühle/spüre also ich bin! Diese körperliche, beziehungsweise einverleibte Subjektivität der Spätmoderne rechtfertigt nicht nur die Suche nach Strategien gegen das Altern, sie legitimiert sie. Denn so lange ich meinen Körper bewohne, habe ich Ansprüche an und für ihn: ich möchte mich so lange wie möglich in ihm wohl fühlen, er soll meine Identität stets zuverlässig vermitteln und nicht zuletzt soll ich mit ihm und durch ihn das Leben bis zum Ende voll auskosten können.  

Im 21. Jahrhundert, selbst wenn das Dorian-Gray-Syndrom als neue diagnostische Kategorie einer Selbstwahrnehmungsstörung und pathologischen Ablehnung des Alterns vorgeschlagen wurde, muss man also nicht mehr den Dachboden aufsuchen, wenn man sich mit dem Altern auseinandersetzen will. Das ernüchternde Bild im Badezimmerspiegel, das Rückenstechen beim Aufstehen und die Pigmentflecken auf den Händen darf man ruhig und offen konfrontieren, denn es gibt zunehmend probate und unverfängliche Strategien um gesünder, schöner und sogar… weniger zu altern.

Referenzen

Wild, Oscar, The Picture of Dorian Gray, Oxford: Oxford’s World Classics, 2008 [1891].

Binstock, Robert H., Anti-Aging Medicine: The History: Anti-Aging Medicine and Research: A Realm of Conflict and Profound Societal Implications, The Journals of Gerontology: Series A, Volume 59, Issue 6, June 2004, Pages B523–B533, https://doi.org/10.1093/gerona/59.6.B523 (Letzter Zugang 13.12.2020)

Trüeb, Ralph M., Anti-Aging: Von der Antike zur Moderne, Darmstadt: Steinkopff-Verlag, 2006, 91-92.

Bingle, Gwen, Under the Sign of the Body: Technology, Commodification and Embodied Consciousness in Late 20th Century Germany, online-Dissertation, Technische Universität München, Fakultät für Wirtschaftswissenschaften, 2012, https://mediatum.ub.tum.de/doc/1094737/1094737.pdf (Letzter Zugang 20.12.2020).

American Academy of Anti-Aging Medicine (gegründet 1992) (https://www.a4m.com/about-a4m-mmi.html)

Deutsche Gesellschaft für Prävention und Anti-Aging-Medizin (gegründet 1999) (https://www.gsaam.de/ueber-gsaam/definition-ziele/) (Letzter Zugang 20.12.2020)

Definition der „Phytotherapie“ unter: https://www.altmeyers.org/de/naturheilkunde/phytotherapie-traditionelle-23340 (Letzter Zugang 20.12.2020).

Werbung für Beier’s Edina radioaktive Gesichtsmaske, Figaro Magazine, 2/1951, 41.

Zum Thema Körper und Wahrnehmung, s. u.a. Maurice Merleau-Ponty’s Phänomenologie der Wahrnehmung (Phénoménologie de la Perception, Paris: Gallimard, 1945).

Dorian-Gray Syndrom: https://de.wikipedia.org/wiki/Dorian-Gray-Syndrom#Konzeption_Burkhard_Brosigs (letzter Zugang: 20.12.2020)

Bild: © Suzy Hazelwood https://www.pexels.com/photo/old-photo-of-man-in-gray-suit-typing-3239424/ (letzter Zugang: 21.01.2021)

BEITRAG VON
Dr. Gwen Bingle
epiAge Deutschland Content & Customer Relations
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