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Altern Kinder?

Ja, aber... biologisch ganz anders als Erwachsene.

Dr. Gwen Bingle
|
7.26.2023

„Was für eine dumme Frage! “, denken Sie vielleicht..., „natürlich altern Kinder. Warum sollten wir uns sonst mit aufwendigen Geburtstagsfeiern abmühen?„ Bei der Messung des biologischen Alters stehen wir jedoch vor einer komplexen Aufgabe.

Die meisten Tests, die derzeit verkauft werden (darunter auch epiAge), sind auf eine breite Alterskohorte ausgerichtet – vom Baby bis zum Hundertjährigen. Da jedoch die Beschäftigung mit dem Altern mit fortschreitendem chronologischem Alter tendenziell zunimmt, sind Kinder, Jugendliche und (sehr) junge Erwachsene nicht die Hauptzielgruppe dieser sogenannten epigenetischen Uhren. Dies bedeutet, dass die meisten Tests für den B2C-Bereich eher für Menschen im mittleren und höheren Alter gedacht sind. Daher können die Testergebnisse einer jüngeren Bevölkerungsgruppe weniger zuverlässig ausfallen.

Abgesehen von dieser marketingbedingten Verzerrung bringt die Bestimmung des biologischen Alters bei jüngeren Personen jedoch eine Reihe eigener Herausforderungen mit sich. In der Tat verläuft die Entwicklung von Kindern bis zum jungen Erwachsenenalter nicht linear. „Schubartig" wäre eine bessere Bezeichnung für die Entwicklung dieser Gruppe. Selbst Laien, die nur wenig mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben, wird es schnell klar, dass Phasen immenser Entwicklungsbeschleunigung (man denke z. B. an den Übergang vom Baby zum Kleinkind oder an Meilensteine wie die Pubertät) mit stabilisierenden „Plateaus" oder viel langsamerer Entwicklung alternieren.

small girl on a climbing frame


Was die Sache noch komplizierter macht, ist die Tatsache, dass die Entwicklung eine sehr individuelle Angelegenheit ist. Untersuchungsprotokolle in der Pädiatrie sind auf Entwicklungs-Meilensteine fokussiert, die Kinder bis zu einem bestimmten chronologischen Alter erreichen sollen. Allerdings wird jede/r erfahrene Kinderarzt/Kinderärztin bestätigen, dass es große Unterschiede nicht nur beim Wachstum, sondern auch beim Erwerb von z. B. motorischen oder sprachlichen Fähigkeiten gibt. Manche Kinder benötigen beispielsweise bis weit ins Grundschulalter hinein Unterstützung bei der Sauberkeitserziehung, während sie vielleicht gleichzeitig außergewöhnliche sprachliche Fähigkeiten zeigen. Bis zum späten Jugendalter oder frühen Erwachsenenalter haben die meisten Kinder jedoch alle Meilensteine erreicht − vorausgesetzt, es liegen keine Störungen oder Entwicklungsprobleme vor.

Neben diesen beiden wichtigen Aspekten gibt es noch einen weiteren, der eng mit der Bewertung des biologischen Alters verbunden ist. Genetische Faktoren, die den allgemeinen Bauplan für die Entwicklung eines Kindes liefern, sind natürlich ein wichtiger Einfluss. Genauso wichtig – wenn nicht sogar noch wichtiger – sind im Kindesalter jedoch die Umweltfaktoren, die sich in der epigenetischen Modulation niederschlagen. Babys oder Kleinkinder, die vernachlässigt und misshandelt oder Stress und schädlichen Substanzen ausgesetzt wurden (sei es in utero oder später), zeigen oft eine deutliche und anhaltende (wenn auch hoffentlich vorübergehende) Entwicklungsverzögerung, die sich in biologischen Alterstests widerspiegeln kann.

Ja, Kinder altern tatsächlich, aber wie die Forscher Wang und Zhu (2021) es ausdrücken: „Die DNA-Altersabweichung in der Pädiatrie [...] folgt möglicherweise nicht ganz demselben Muster, das sich im späteren Leben zeigt. Das epigenetische Alter in den ersten 20 Jahren erfreut sich eines dynamischeren Paradigmas." Dies wiederum erklärt, warum die üblichen biologischen Alterstests, die auf eine erwachsene Bevölkerung ausgerichtet sind, bei jüngeren Menschen nicht so gut funktionieren. Es wurden und werden neue Uhren für Kinder und Jugendliche entwickelt und Querschnittsstudien durchgeführt. Aufgrund der Neuartigkeit der Tests sind jedoch weitere Querschnitts- und Längsschnittstudien erforderlich.

Jungen springen auf riesige Steinen am Strand


Ebenso wie bei erwachsenenorientierten Tests erweist sich die Auswahl geeigneter CpGs auch bei Kindern als Herausforderung, da „Messungen der [epigenetischen Altersbeschleunigung] auch dadurch geschätzt werden, dass sie mit einer großen Anzahl von Entwicklungsmerkmalen in Verbindung stehen, einschließlich Gewicht, Body-Mass-Index (BMI), Größe, Fettmasse, Knochendichte, subscapularer Hautfalte und Oberarmumfang." (Wang & Zhu; 2021). Wie bereits bei der Prüfung des biologischen Alters von Erwachsenen (Poganik & al., 2023) festgestellt wurde, reagieren verschiedene Testdesigns auf verschiedene zugrundeliegende Bedingungen und Einflüsse mehr oder weniger empfindlich.

Nach dieser kurzen Darstellung bleibt eine wichtige Frage offen: Was erhoffen sich denn Forscher angesichts all der Herausforderungen, die mit der biologischen Altersbestimmung bei jüngeren Menschen einhergehen? Und sind epigenetische Alterstests für diese Bevölkerungsgruppe überhaupt sinnvoll? Die Antwort auf die letzte Frage ist ein klares „Ja“. Die Forscher, die zum Beispiel die PAYA-Uhr entwickelt haben, hatten ein sehr praktisches Ziel vor Augen, als sie ihr Modell zur Bestimmung des Alters von Jugendlichen und jungen Erwachsenen entwickelten. Sie wollten die forensische Altersbestimmung verbessern, um die Schutzbedürftigkeit von Kindern und Jugendlichen zu ermitteln, deren Geburtsdatum nicht dokumentiert ist (etwa ein Viertel der Kinder weltweit), da die derzeitigen radiologischen Methoden immer noch sehr dürftig sind. Um den Test möglichst universell anwendbar zu machen, geben sich diese Wissenschaftler derzeit große Mühe, so viele umweltbedingte Verzerrungen wie möglich herauszufiltern (Aanes & al.; 2023).

Im Gegensatz dazu interessieren sich andere Forscher gerade für das Zusammenspiel von Genetik und Umwelt, um abnormale Entwicklungsverläufe zu erklären und hoffentlich zu beheben. In den Worten von Wang und Zhu (2021): „Da sie sowohl von genetischen als auch von Umweltfaktoren beeinflusst wird, hat sich die DNAm [DNA-Methylierung] als ein Schlüsselmechanismus herauskristallisiert, der für das Verständnis des Zusammenspiels von Genen und Umwelt bei der normalen Entwicklung und damit verbundenen Krankheiten von Interesse ist. Dabei ist die pädiatrische epigenetische Uhr ein spannendes Thema, um die biologische Magie hinter Entwicklung und Wachstum bei Jugendlichen zu entschlüsseln."


Quellen

Wang J, Zhou WH. „Epigenetic clocks in the pediatric population: when and why they tick?“ Chinese Medical Journal (Engl). 2021 Sep 14;134(24):2901-2910. doi:10.1097/CM9.0000000000001723. Online: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC8710336/

Aanes, H., Bleka, Ø., Dahlberg, P.S. et al. „A new blood based epigenetic age predictor for adolescents and young adults”. Scientific Reports 13, 2303(2023). https://doi.org/10.1038/s41598-023-29381-7. Online: https://www.nature.com/articles/s41598-023-29381-7

Jesse R. Poganik, Bohan Zhang, Gurpreet S. Baht, Alexander Tyshkovskiy, Amy Deik, Csaba Kerepesi, Sun Hee Yim, Ake T. Lu, Amin Haghani, Tong Gong, Anna M. Hedman, Ellika Andolf, Göran Pershagen, Catarina Almqvist, Clary B. Clish, Steve Horvath, James P. White, Vadim N. Gladyshev, “Biological age is increased by stress and restored upon recovery“, Cell Metabolism, Volume 35, Issue 5,2023, 807-820.e5, https://doi.org/10.1016/j.cmet.2023.03.015. Online: https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S1550413123000931

Bilder

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BEITRAG VON
Dr. Gwen Bingle
epiAge Deutschland Content & Customer Relations
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